Vom Auftauchen und Verschwinden

Frauen in der Musik – sexualisierter Kunstgenuss

In der bürgerlichen Gesellschaft führen Frauen ein besonderes Leben, genauer gesagt zwei: ein zugeschriebenes, fremdbestimmtes und ein emanzipiertes, selbstbestimmtes Leben. Allerdings ist die Sache nicht alternativ zu sehen: Fremdbestimmt ist das weibliche Leben auf jeden Fall, emanzipiertes Leben bedeutet für die Frauen nur, dass sie ein weiteres Leben dazu bekommen – die sattsam bekannte Doppelbelastung. In der alltäglichen Wahrnehmung äußert sich dies durch die ebenso bekannte Frage im Interview, wie eine emanzipierte Frau nun ihre Funktion als Managerin, Betriebsleiterin, Kanzlerin, Ministerin mit ihrem Dasein als Mutter und Hausfrau vereinen würde oder könne. Es ist schlicht undenkbar, dass jemand eine Frage dieser Art an Maria Theresia, Katharina die Große, Elizabeth Tudor oder eine Zunftmeisterin, Freifrau, Kaiserinwitwe, eine Bäuerin oder sonst eine Regentin gerichtet hätte.

Wir können anhand dieses Sachverhalts getrost annehmen, dass die bürgerliche Gesellschaft bei den Frauen einiges zu ihren Ungunsten angerichtet hat. Das bürgerliche Leben spielt sich, was das Gesellschaftliche betrifft, in der Öffentlichkeit ab. Revolutionen, Wahlen, Kaffeehäuser, Zeitungen, all dies ist Öffentlichkeit. In dieser – ursprünglich männlichen – Öffentlichkeit präsentiert sich das Subjekt mit seinen Unternehmungen. Das müssen jetzt nicht ausschließlich ökonomische Unternehmungen sein – auch bestimmte Formen des Auftretens fallen darunter, wie sie am Dandy oder Flaneur von Walter Benjamin beschrieben wurden.

Dieses Agieren in der Öffentlichkeit dient der Reproduktion der Gesellschaft. Die hierarchischen Plätze werden definiert, die Waren hergestellt, die sozialen Typen werden geprägt, die Verantwortlichen bestimmt, und so fort. All diese Tätigkeiten können unter dem Begriff Arbeit zusammengefasst werden, all diese Arbeiten sind dann auch – um das öffentliche Ansehen sichtbar zu machen (auch in seiner hierarchischen Gliederung) – entlohnt. Allerdings ist die Reproduktion der Gesellschaft auch an Tätigkeiten gebunden, die nicht in der Öffentlichkeit vollzogen und daher nicht entlohnt werden, Tätigkeiten, die für die Reproduktion der Gesellschaft nötig sind, aber nicht abstrakt an Verhältnissen, sondern konkret an Personen vollzogen werden. Welchen Anreiz kann es dann für die Tätigkeiten geben, wenn sie nicht entlohnt werden? Erraten. Die Frauen – denn sie sind es, die diese Tätigkeiten ausführen müssen: Kindererziehung, Familienpflege, Rekreationsaufgaben und was da mehr – werden dafür geliebt.

Sie bekommen Liebe und müssen dafür den Raum zur Verfügung stellen, in dem sich Männer von ihrer anstrengenden Tätigkeit in der Öffentlichkeit erholen können, um gestärkt in die Öffentlichkeit zurückzukehren und dort ihre verantwortungsvollen Tätigkeiten weiter auszuüben. Wollen die Frauen aber selbst in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, müssen sie sich mit eigenen Unternehmungen und Vorhaben emanzipieren. Emanzipation ist also nichts, was unsere gesellschaftlichen Verhältnisse überschreitet, sie vielleicht sogar verlässt. Im Gegenteil, Emanzipation ist der Eintritt in diese Verhältnisse. Ohne Emanzipation gibt es nur blanke Rechtlosigkeit.

Frauen sind also in bürgerlichen Verhältnissen für das Wohlbehagen der Männer zuständig. Dies erfolgt – nicht öffentlich – in der Familie, in die man nur durch Einladung Eintritt erhält, wenn man nicht verwandt oder Hausfreund ist, oder – öffentlich – im Vergnügungsbetrieb, der allen zugänglich ist, aber nur gegen Konsumation oder Eintrittsgebühr. Musik ist auch zu einem großen Teil diesem öffentlichen Bereich zuzurechnen. Was bedeutet das für Frauen in der bürgerlichen Musik?

Zunächst ist Musizieren, also das Spielen eines Instruments oder die Darbringung von Gesang durchaus mit dem Wohlbehagen der Männer, wofür Frauen zuständig sind, vereinbar. Im Rahmen von Hausmusik und dem Erziehungsplan für den Nachwuchs ist die Kenntnis und Beherrschung von Musik durchaus erwünscht. Ebenso treten Frauen öffentlich auf, geben Konzerte oder singen in der Oper. Was den Gesang betrifft, werden die Frauenstimmen in der bürgerliche Epoche unter der Forderung der Natürlichkeit zugelassen – Kastraten- und Knabenstimmen verschwinden.

Aber sie spielen nicht jedes Instrument; sie spielen fast ausschließlich Klavier. Da können sie züchtig mit geschlossenen Knien sitzen, das geht in Ordnung. Es passt zum Wohlbehagen und es passt dazu, dass sie reproduktive Tätigkeiten ausführen. In dieser gesellschaftlichen Rolle ist es das größte Kompliment, das Carl Friedrich Zelter Fanny Hensel machen kann, wenn er sagt, sie spiele wie ein Mann. Und Clara Schumann kann mit ihren Konzerten die Familie finanzieren.

Was aber, wenn Frauen sich emanzipieren und produktive Tätigkeiten in der Musik (und im Musikgeschäft) für sich in Anspruch nehmen? Wenn sie sich nicht auf das Wiedergeben der Noten beschränken, sondern die Noten schreiben wollen? Komponistinnen sind heute noch immer Minderheit und beachtetes Kuriosum, was meiner Meinung nach mit dem Konservativismus der Kunstrichtung Musik zu tun haben dürfte. Ich habe schon vorher behauptet, dass avantgardistische, zerstörerische, demokratisch-revolutionäre Richtungen in der Musik kaum zu finden waren; offensichtlich hinkt auch die Emanzipation der Frauen mit eigener musikalischer Unternehmung – Orchester- oder Ensembleleiterin, Dirigentin, Komponistin – der Emanzipation in anderen Bereichen nach.